Als Frau alleine am Jakobsweg #03
Ein Vorteil des alleine Reisens ist die Qualität des Erlebens. Lies hier weiter..
3. Als Frau alleine unterwegs am Jakobsweg
Ich hatte nie ein Problem damit, alleine zu reisen oder zu sporteln. Es war mir nie unangenehm und ich hatte auch nie Angst davor, allein zu sein. Manche meiner Freundinnen oder Bekannten können sich das aus verschiedenen Gründen gar nicht vorstellen. Natürlich bevorzuge ich Zweisamkeit statt Einsamkeit, aber manchmal kann man es sich nicht aussuchen. Mein Lebensgefährte hätte sich ein Monat nicht frei nehmen können und er meinte außerdem, dass er sich das nicht antue, ein Monat 800 km zu Fuß in der Ebene zu gehen. Er sei doch eher der Bergsteiger. Zwei Freundinnen kündigten sich an, mich für eine kurze Zeit zu begleiten. Als es aber dann doch sehr rasch zur Umsetzung kam, verliefen sich die Begleitwünsche im Sand. Also machte ich mich alleine auf meinen Weg.
Als Frau sollte man überall achtsam und auf der Hut sein, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass ich auf dem Jakobsweg mehr Wachsamkeit hätte walten lassen müssen, als sonst. Ich machte (fast) nie eine schlechte Erfahrung und ich habe auch einige allein gehende Frauen getroffen, die mir ebenfalls von absoluter Problemlosigkeit berichteten. Ich muss auch noch erwähnen, dass ich zu einer Zeit unterwegs war, als sehr wenige Pilger am Weg waren.
Auch diese zwei Geschichten sind glimpflich ausgegangen: kurz vor Estella, als ich durch einen schmalen von Büschen und Gestrüpp eingesäumten Weg ging, sprang plötzlich ein Splitter-Faser-nackter Mann auf den Weg! Er war einzig mit einem Wanderstab in der linken Hand ausgestattet und rief auf italienisch „Scusi, scusi“. Ich bekam einen ziemlichen Schreck, konnte aber ungehindert vorbeilaufen und wurde von ihm nicht verfolgt. Der Flitzer wartete offensichtlich auf sein nächstes Opfer (egal ob Mann oder Frau). Im Pilgerquartier „Albergue San Miguel“ hat der nach mir eingetroffene Pilger aufgebracht von einem Flitzer am Weg berichtet…
Diese Geschichte war dann weniger lustig: zwischen Calzadilla de la Cueza und Sahagún traf ich auf einem einsamen Weg auf einen verwahrlost aussehenden Einheimischen, der mich wild gestikulierend ansprach. Ich muss dazu bemerken, dass man vielmals durch Gegenden kommt, in denen weit und breit keine Seele zu sehen ist. Keine Einwohner, keine Bauern, keine Pilger. Auch wenn ich in der Früh oder abends im Quartier andere Pilger getroffen habe, so ist es immer wieder passiert, dass wir uns aus den Augen verloren und viele Stunden alleine gingen. Auch diesmal war es so vor Sahagún, als ich den Mann am Horizont gesehen und auf mich zukommen sah. Auf dem Jakobsweg entwickelt man ein untrügerisches Gefühl, ob etwas in Ordnung ist oder nicht. Von weitem konnte ich erkennen, dass mit diesem Mann nichts in Ordnung war. Er kam sehr schnell auf mich zu, sprach wirr spanisch auf mich ein und deutete mit einem Seil auf meinen Hals. Er machte mit seiner rechten Hand Gesten, als würde er mich erschießen wollen. Ich erinnerte mich sekundenschnell an die Selbstverteidigungs-Einschulung der Sekretärin meines Chefs. Sie war in Kampfsportarten trainiert und als ich mich vor Verlassen des Unternehmens verabschieden kam und von meinem Vorhaben des Jakobsweg erzählte, wollte sie mir unbedingt im Rahmen einer 5-Minuten-Blitzeinschulung die wichtigsten „moves“ im Falle eines Angriffs zeigen. Ein komisches Bild haben wir für dazukommende Kollegen abgegeben – man muss sich vorstellen – in den heiligen Hallen des Vorstandsbüros habe ich die wichtigsten Griffe zur Selbstverteidigung bei unerwarteten Angriffen beigebracht bekommen. Nun der erste Tipp war, zuerst den Rucksack abzulegen. Denn mit dem schweren Ding am Rücken könne man sich weder verteidigen, noch schnell davon laufen.
Das habe ich also genau in der Situation getan, als der Mann vor mir stand. Ich stellte den Rucksack auf den Boden und dachte mir, wie blöd, dass der Pfefferspray irgendwo in den Untiefen des Rucksacks liegt. Aber genau in diesem Augenblick drehte sich der Mann um und ging in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Erleichtert ging ich weiter, konnte aber bemerken, dass er immer darauf wartete, dass ich nachkam. Gott sei Dank kam endlich ein Dorf in Sicht. Gleich fühlte ich mich viel besser. Ich konnte zwar sehen, dass sich der Mann hinter dem ersten Haus versteckte und auf mein Kommen wartete, aber eine gerade die Straße überquerende alte Frau sprach mich an und wollte wissen, was los sei. Sie hatte offensichtlich mein verschrecktes Gesicht gesehen. Ich erzählte mein Erlebnis und genau da kam der Mann aus seinem Versteck heraus und ging an uns vorbei. Die Alte meinte, ich brauche mich nicht zu fürchten, denn dieser Mann sei nur der sogenannte „Dorftrottel“. Er sei irre, aber er tue niemanden etwas zu leide. Nun gut, es ist gut ausgegangen.
In den vielen Lokalen oder Bars in denen ich Halt für eine Pause und einen Snack machte, wurde ich nie von den Einheimischen komisch betrachtet. Meistens waren vormittags Männer in den Bars, aber das Bild der alleinreisenden Pilgerin ist dort so gewöhnlich, dass ich nie aufgefallen bin und eine unangenehme Situation entstand. Ganz im Gegenteil bekam ich freundliche Grußworte mit auf den Weg, wie „Buen camino!“
Ein Vorteil des alleine Reisens ist die andere Qualität des Erlebens. Mehr auf sich gestellt zu sein, bedeutet auch aufmerksamer nach außen zu sein. Kontakte entstehen schneller und sind auch intensiver. Es gibt nicht den Schutz der Zweisamkeit, nicht die Sicherheit des auf den anderen vertrauen und verlassen zu können. Aber auch nicht die geteilten schönen Augenblicke. Das alleine gehen bringt eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich und die Konzentration auf die eigenen Bedürfnisse. Ich habe mein Tempo gehen können, meine eigenen Routen und Pausen und Quartiere wählen können – ganz ohne Kompromisse.
Ich kann nicht sagen, dass das alleine reisen schöner für mich ist – ich hatte oft Sehnsucht nach meinem Liebsten. Aber es ist anders und es war gut, den Jakobsweg alleine erlebt zu haben.
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