Zeit und Geld am Jakobsweg #02

Wenn man Zeit für Abenteuer hat, dann fehlt oft das Geld oder der Mut dazu. Und wenn die Finanzen passen würden, dann hat man oft nicht die Zeit. Ich war in der glücklichen Lage, beides zu haben. Lies hier weiter…

2. Zeit und Geld am Jakobsweg

Ich war in der bevorzugten Lage, Zeit und Geld zur Verfügung zu haben. Wer hat das schon? Meist hat man Geld, aber nicht die Zeit für Abenteuer. Und wenn man Zeit hat, dann fehlt oft das nötige Geld. Oder der Mut. Mein Traum war es immer schon in den Alpen von Hütte zu Hütte zu gehen und das länger, als nur für ein verlängertes Wochenende. Als ich mich endlich nach Verlust meines Jobs dazu entschlossen habe, das Unternehmen zu verlassen (man bot mir eine andere Position an, von der sich im Laufe der Zeit herausstellte, dass es diese doch nicht geben werde), gewährte man mir eine „Freistellung“ für 2 Monate, das heißt, ich bekam das Gehalt bezahlt, war versichert und musste nicht am Arbeitsplatz erscheinen.

Ich hatte den immensen Drang, sofort auf Abenteuer zu gehen. Alles hinter mir zu lassen, die sehr aufwühlenden Ereignisse der letzten Wochen und Monate durch eine räumliche Veränderung zu beenden. Es war Oktober und die Hütten in den Bergen hatten da schon lange geschlossen. Bis nächstes Jahr wollte ich nicht warten, also kam der Gedanke an den Jakobsweg sehr schnell. Als Frau alleine unterwegs, erhoffte ich mir perfekte Infrastruktur am Weg. Wärmere Temperaturen in Spanien und genussreiche Weinverkostungen in der Rioja-Gegend. Es kam alles ganz anders.

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Ist der Weg etwas fürs schmale Börserl? Nun das kann man so einfach nicht beantworten. Wer keine Privatzimmer oder Hotels nimmt (oder nehmen kann – zu der Zeit, als ich ging, waren viele Privatquartiere geschlossen), dem stehen die preiswerten Pilgerquartiere zur Verfügung.

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Dieses Pilgerquartier war jedoch auch geschlossen.

Ich bezahlte meist nur rund EUR 6,- bis 10,-  für eine Nächtigung. In Estella konnte ich in der Herberge sogar für eine freie Spende übernachten und essen. Auch die Pilgermenüs gab es oftmals um EUR 10,- (3-gängig inkl. Wein). Doch auch das kann für manchen schon zu teuer sein. Ich traf unterwegs auf einen ungarischen Pilger, der von zu Hause losgegangen ist. Er erzählte, er sei Banker gewesen und habe durch die Wirtschaftskrise alles verloren. Seinen Job, sein Haus und seine Freundin. Er habe sich von Ungarn aus auf den Jakobsweg begeben mit Nichts und hat in Frankreich teilweise unter freiem Himmel geschlafen. Bei den Pilgerquartieren fragte er, ob er gratis übernachten könne. Ob ihm dies gelungen ist, habe ich nicht erfahren. Er hat sich jedoch mit einem großgewachsenen deutschen Pilger zusammengetan. Dieser zahlte ihm einmal die Übernachtung in einer Pension in Sahagún, dafür pflegte der Ungar dem Deutschen die mit Blasen übersäten Füße hingebungsvoll. Solch malträtierten Füße habe ich noch nie gesehen. Die beiden gaben ein feines Gespann ab – der schmächtige Ungar, der den im Schneckentempo und mit schmerzverzerrten Gesicht gehenden Deutschen stützte.

Ein Pilger behauptete, dass ihm EUR 300,- in der Nacht im Quartier gestohlen worden seien. Das war in der Pilgerherberge in Estella. Dort gab es einen einzigen Raum mit ein paar Stockbetten und ich konnte nichts Auffälliges bemerken. Aber die Vorsicht hat es mir immer geboten, alle Wertsachen auch bei Nacht bei mir zu haben. Dieser Pilger hatte sein Geld in der Jacke, die an dem Garderobenhaken hing. Schade, wenn es tatsächlich gestohlen wurde. Dem Ungarn hätte das nicht passieren können – der hatte rein gar nichts in seinem „Börserl“.

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Zwischen Estella und Los Arcos kommt man an dem berühmten Kloster Irache vorbei, das Weinbau betreibt. Hier gibt es an der Klostermauer einen Brunnen, der Wein spendet. Wasser gibt es natürlich auch. In der Inschrift steht geschrieben, dass es Glück bringt, wenn man den Wein trinkt und mit Kraft nach Santiago pilgern möchte. Also kann man hier gratis den Wein verkosten oder sogar die Trinkflasche anfüllen. Für noblere Pilger hat man daneben einen Automaten aufgestellt, aus dem man nach Münzeinwurf ein Glas erhält. Meine Trinkflasche wollte ich nicht anfüllen, dann hätte ich mich gleich im nächsten Ort einquartieren müssen. Und den Kopf unter den Zapfhahn wollte ich auch nicht halten, um zu kosten. Leider hatte ich keine passende Münze dabei, aber das dort gerade anwesende Pilgerpärchen hat mir eine geschenkt, damit ich mit ihnen auf den Wein und den Pilgerweg anstoßen konnte. Die beiden haben sich schon ein Glas aus dem Automaten geholt. Eine schöne Begebenheit – ich habe dieses Pärchen nie wieder gesehen und ich konnte mich nicht revanchieren in einem Lokal, wo man nicht für das Glas sondern für den Wein bezahlt.

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Geld und Zeit hatte am Jakobsweg für mich eine andere Bedeutung als im Leben zu Hause. Sehr schnell machten Wochentage oder Wochenendtage keinen Unterschied. Dafür war es sehr wichtig vor 18:00, das heißt vor Einbruch der Dunkelheit, ein Quartier erreicht zu haben. Ich rechnete mehrmals täglich die Kilometerdistanzen in Stunden um und der Trainingseffekt brachte es, dass ich bald täglich mehr als 30km gehen konnte. Grundsätzlich hätte ich mir auch viel länger Zeit nehmen können, da ich ja zeitlich nicht begrenzt war. Aber einerseits war der Weg nicht so genussreich für mich und andererseits wirkte der Weg wie ein Sog – immer schneller ans Ziel nach Santiago. Ein richtiges Phänomen, dem sich fast kein Pilger entziehen kann. Vom ersten Tag an beginnt der Tages-Count-Down hin nach Santiago de Compostella. In diversen Büchern oder Posts im Internet wird auch mächtig geprahlt, in welch kurzer  Zeit so manch Pilger die Strecke absolviert habe. Auch unter den Pilgern, die ich getroffen habe wurden die Zeit und Distanzen immer verglichen. Wie ein sportlicher Wettbewerb. Zeit hat also eine besondere Bedeutung am Weg und für die Dauer des Jakobsweges gilt eine eigene Zeitrechnung.DSC05658

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